Taxifahrer gegen App-Nutzer
Frankreich will das Internet verhindern
Der 13. Januar dieses Jahres war kein Freitag. Doch für Renaud Visage, Chef des Online-Ticketservices Eventbrite, und seine Freundin Kat Borlongan stand der Tag trotzdem nicht unbedingt unter einem guten Stern. Demonstranten hielten plötzlich das Auto an, mit dem ein Fahrer die beiden an jenem Morgen vom Flughafen Orly ins Stadtzentrum von Paris brachte. Sie bespritzten es mit Farbe, zerstachen einen Reifen und versuchten, die Türen zu öffnen. Als diese verriegelt waren, zerschmetterten die Demonstranten eines der Seitenfenster.

Dieser Angriff galt nicht Visage und Borlongan - sondern ihrem Fahrer und dessen Auto, einem nach französischem Recht Voiture de Tourisme avec Chauffeur (VTC). Französische Taxifahrer beschuldigen die Luxus-Fahrzeuge des unlauteren Wettbewerbs und fordern Hilfe vom Staat - seit Wochen gibt es immer wieder aggressive Demonstrationen. Dass der Staat ihnen diese Hilfe gewährt, spricht Bände über Frankreichs Einstellung gegenüber neuen Technologien.
Die Aggression der Taxifahrer richtet sich vor allem gegen das US-Unternehmen Uber Cars. Der Limousinendienst funktioniert vergleichbar zum deutschen Taxiservice Mytaxi: Der Nutzer ruft sich ad hoc über seine Handy-App ein Auto. Doch kommt eben kein simples Taxi sondern ein schwarzes Oberklasseauto, sei es ein BMW 5er, ein Jaguar oder eine Mercedes S-Klasse. Die Fahrer tragen Anzug, sind höflich und kundig, ein Wasser gehört ebenfalls zum Service. Bezahlt wird automatisch: Bei Ende der Fahrt verlässt der Gast das Auto und muss nichts weiter tun. Die Abbuchung erfolgt über die Kreditkarte. Der Service kostet: Mindestens 20 Prozent teurer als ein Taxi sind die Uber Cars. Gerade in Städten mit schlechter Taxiinfrastruktur und bekannt unfreundlichen Fahrern - zum Beispiel eben Paris oder New York - boomt Uber.
Tatsächlich sind Frankreichs große Städte im Vergleich zu denen anderer Länder weniger gut versorgt: Nur drei Taxen kommen auf 1000 Einwohner im Vergleich zu neun im London und elf in New York. Und die Höflich- und Kundigkeit der Pariser Taxer werden in Europa wohl nur noch von ihren Kollegen in Amsterdam unterboten.
Der französische Staat hat sich den Taxiprotesten gebeugt. Die Regierung legte fest, dass VTC fortan 15 Minuten verstreichen lassen müssen zwischen der Reservierung und der Fahrt. So soll sichergestellt werden, dass VTC nicht einfach Kunden vom Straßenrand mitnehmen. Das dürfen sie nämlich laut Gesetz nicht - tun es aber trotzdem, sagen Taxifahrer. Diese fordern deswegen, die Wartezeit gar auf 30 Minuten auszuweiten. Ein Vorschlag, der die VTC empört - schließlich verlieren deren Chauffeure dadurch wertvolle Fahrtzeit und damit Geld. Denn auch die Fahrer von Uber Cars sind keine Angestellten: Es sind meist selbständige Fahrer, die stunden- oder tageweise von wohlhabenden Kunden gebucht werden. Ihre freien Zeiten füllen sie via Uber auf.
Der eigentliche Konflikt ist aber nicht etwa der zwischen zwei Arten von Miet-Fahrern. Es ist ein Kampf zwischen einem etablierten Berufsstand und jungen Startups, die mithilfe von neuen Technologien - in diesem Fall Reservierungen über Smartphone-Applikationen und bargeldlose Bezahlung - in den Markt drängen.
Genau das versucht Frankreich zu verhindern, erklärt Emmanuel Combe, Ökonom und Vize-Präsident des staatlichen Wettbewerbshüters Autorite de la Concurrence. Die Behörde hatte sich gegen das 15-Minuten Dekret ausgesprochen und es als Wettbewerbsverzerrung bezeichnet: "Wir Franzosen mögen keine Veränderung. Wir denken immer noch, dass man seinen Job das ganze Leben lang behält, und es erscheint uns unmöglich, sich ständig neu zu erfinden und fortlaufend an den technischen Fortschritt anzupassen." Um dieser Einstellung zu entsprechen, würden Politiker die entsprechenden Gesetze oder Verordnungen erlassen.
Dafür gibt es neben der Verordnung zu den VTC zahlreiche andere Beispiele: Online-Händler wie Amazon dürfen seit kurzem nicht mehr als fünf Prozent Rabatt auf Verkaufspreis und Porto zusammen erlassen. Damit will Frankreich die rund 3000 unabhängigen Buchhandlungen des Landes schützen.
Zudem sind Online-Apotheken nicht zugelassen in Frankreich. Das Land ist eins der wenigen, in denen man selbst Aspirin nur in der Apotheke kaufen kann. Auch die Entstehung einer eigenen Lowcost-Fluggesellschaft hat der französische Staat zu verhindern versucht - am Ende musste er dennoch den Markt öffnen: Die britische Easyjet ist so heute nach Air France die Nummer zwei in Frankreich.
Nicht zuletzt das Beispiel der Billigflieger zeigt: Auch wenn Frankreich dem technischen Fortschritt den Rücken zuwenden will - letzten Endes wird das Land meist von ihm eingeholt. "Kurzfristig funktioniert die Blockier-Strategie meist, aber langfristig werden die Politiker von übergeordneten Instanzen wie dem französischen Conseil d'Etat oder der europäischen Kommission zur Ordnung gerufen", meint Combe.
Darauf bauen auch die VTC: Einige von ihnen haben Einspruch eingelegt vor dem Conseil d'Etat und hoffen darauf, dass Letzterer die Regelung aufheben wird. Schon diesen Monat könnte die Instanz die Verordnung zeitweise aushebeln. Bis Ende des Jahres erwarten die Unternehmen eine Grundsatzentscheidung.
Dass diese zu ihren Gunsten ausfallen wird, ist für sie offensichtlich. "Es ist ja wohl völlig widersinnig, Unternehmen dazu zu zwingen, weniger effizient zu sein, nur um die Interessen einiger weniger zu schützen", sagt Yves Weissenberger, Chef des französischen Uber-Rivalen Snapcar. "Dies widerspricht ganz klar dem Allgemeinwohl und dem, was für die ja im Moment etwas lahmende Wirtschaft gut ist."
Für VTC-Marktführer Uber ist die Reaktion des französischen Staates jedoch nicht unbedingt überraschend. "Ähnlich hat man uns auch schon in anderen Städten wie im US-amerikanischen Miami und in Milano in Italien begrüßt", sagt Alexandre Molla, Chef der Uber-Filiale in Lyon. "Und das ist ja auch normal - schließlich ist Taxifahren ein sehr alter Beruf, in dem die Gewerkschaften extrem stark sind."
Sein Vorstandschef Travis Kalanick verkündete ausgerechnet auf der Pariser Internetkonferenz Le Web im Dezember, dass sein Unternehmen es nicht bei Limousinen belassen wolle. Eine logische Erweiterung sei es, diese Fahrzeuge auch für Kurierdienste zu nutzen. Vielleicht die nächste Branche, die von der französischen Regierung geschützt werden muss.
Hier das Interview mit Uber-CEO Kalanick im Dezember vergangenen Jahres:
Der oberste Gerichtshof Frankreichs hat das Gesetz gegen die Limousinengesellschaft zunächst außer Kraft gesetzt. Ein Grundsatzurteil wird im Laufe des Jahres erwartet.
