Fußball und Wirtschaft
"Die Stimmung im Stadion könnte gefährdet sein"
Am kommenden Wochenende startet die Fußball-Bundesliga in ihre Rückrunde. Wirtschaftlich ist alles prima. Doch viele Fans erregen sich - durchaus auch gewaltbereit - ob der steigenden Kommerzialisierung. Dabei steht diese noch am Anfang: Connected Stadiums werden den Sport maßgeblich verändern.

War er drin, der Ball - damals in Wembley?
Natürlich nicht, sagt man hierzulande.
Of course, meint auch heute noch der Engländer.
Doch während auf den Tribünen die moderne Beweisführung per Smartphone oder Tablet längst Einzug gehalten hat, sieht es bei der Stadiontechnik ganz anders aus. Zwar sind andere Länder Deutschland schon um virtuelle Längen voraus, grundsätzlich muss das aber gar kein Nachteil sein. Das Stadionerlebnis in Deutschland ist ein Kulturgut und nicht vergleichbar mit dem in den USA.
Aber auch in der Bundesrepublik entwickelt sich das Angebot um den Sport immer mehr in Richtung >> doppeltes Spielfeld<< - nicht nur in den Arenen. Ein vergleichender Blick über den großen Teich lohnt sich, um Trends aufzuspüren: American-Football- oder Baseball-Spiele sind Entertainment auf ganzer Strecke. Die Regeln und Spielzeit sind so ausgelegt, dass immer genügend Zeit bleibt, die Ränge zu verlassen, um sich mit Nachos und Coke einzudecken - oder eben Twitter, Facebook oder Statistiken zu checken.
Social Media ist im US-Sport allgegenwertig: bei den Fans, im Journalismus; bei, vor und nach den sportlichen Ereignissen. Die Akzeptanz für diesen Wandel ist bei Verantwortlichen, Zuschau- ern und Redaktionen gleichermaßen groß, die Parameter dafür weitestgehend geschaffen. So hat die nordamerikanische Football League NFL jüngst verkündet, dass bis Ende 2014 alle 32 NFL-Arenen mit Wi-Fi ausgerüstet sein sollen. Als Vorbilder gelten das Gillette-Stadion der New England Patriots in Massachusetts oder die Heimstädte der Philadelphia Eagles, das Lincoln Financial Field. Die Klubs investieren Millionensummen, um >>unseren unglaublich leidenschaftlichen und treuen Fans stets das beste Stadionerlebnis bieten zu können<<, sagt Don Smolenski, Präsident der Eagles.
Das ist nur ein Teil der Wahrheit. Die Vereine haben auf der anderen Seite tatsächlich Sorge um die bis heute beeindruckende Kapazitätsauslastung, die nahezu bei hundert Prozent liegt. Glaubt man der US-Marktforschung, ist ein rückläufiger Trend nur eine Frage der Zeit, Kritiker behaupten dieser habe längt eingesetzt. Viele Fans ziehen die TV-Übertragungen mit all ihren Vorteilen in Hinblick auf Mehrwert, Informationen, Expertenwissen und Zeitlupen der Live-Atmosphäre vor. Warum all das nicht auch im Stadion anbieten? Der Konsument soll schließlich auch weiterhin sein Geld dort lassen, nicht aber auf die Zusatzinformationen verzichten. Die Klubs planen flächendeckende Wireless-LAN-Infrastrukturen und bieten mit speziellen Stadion-Apps die aus dem Fernsehen gewohnten Super-Zeitlupen, Dutzende Kameraperspektiven, Grafiken, Statistiken - und das alles in HD.
Das neue Barclays Center in New York setzt schon jetzt einen Standard in puncto >>Connected Stadium<<. Wenn der Zuschauer ein Spiel der dort beheimateten Brooklyn Nets (NBA) oder der New York Islanders (NHL, ab 2015) besucht, startet er im Idealfall bei Betreten der Sporthalle die >>Official Barclays Center App<<, findet damit seinen Sitzplatz in der Arena, bestellt sich per Klick die Nachos und das Bier und ist die komplette Partie über umfassend informiert. Fernseherlebnis in Live-Atmosphäre: >>Unser Ziel ist es, dass jeder Fan das bestmögliche Erlebnis hat<<, sagte Chip Foley, Technikchef bei der Planung des Barclays Center.
Fast 8.000 LED-Quadratmeter, eine fortschrittliche Sound- und Beleuchtungsanlage machen die Arena so modern, wie >>keinen anderen Ort, den Sie jemals gesehen haben<<, so Foley, und Logan Meier, Director of Facilities Presentation ergänzt: >>Was uns am meisten Spaß macht, ist eine große Show zu bieten.<< Show, darum geht es. Entertainment und Kundenbindung.
Auch in Europa hat sich das Angebot rund um den Sport schon längst verändert. So springen in Spanien der FC Barcelona und Real Madrid auf den digitalen Zug auf und in der englischen Premier League bieten der FC Liverpool oder Manchester City ebenfalls >>Connected Stadiums<<. Der Sport, wie man ihn früher kannte, ist auch im Mutterland des Fußballs Vergangenheit. Die italienische Serie A hinkt zwar noch hinterher, aber mit >>Brot und Spiele<< entwickelte sich auch in Europa der Wettkampf hin zu >>Kommerz und Interaktivität<<.
Raphael Honigstein, ein deutscher Journalist auf der Insel, nutzt den Service gerne: >>Twitter gehört für mich schon fest zum Stadionbesuch dazu - als stummer Kommentar im Hintergrund, in den man je nach Lust und Zeit eintauchen kann.<< Abgesehen davon helfe es auch beim Arbeiten, >>weil die Leute binnen weniger Sekunden Zeitlupen und Screenshots ins Netz stellen<< oder sich Schiedsrichter und Statistiker zu Wort melden. Honigstein, der unter anderem für den >>Guardian<< schreibt, schielt auch in seine Heimat und stellt in der Bundesliga fest, dass einst marode Stadien längst zu hochmodernen Arenen ausgebaut wurden.
Der Eventcharakter steht in der Fußballbundesliga an prominenter Stelle. Dabei sind Stadien unsere modernen Kirchen, in die wir uns via Foursquare einchecken können, der Sport unterhaltendes Beiwerk, den wir nur noch mit anderthalb Augen verfolgen, um in den sozialen Medien keinen Tweet zu verpassen. Flagge zeigen, Emotionen transportieren und ein aktiver Teil der Szene zu sein, wird immer wichtiger. Deshalb steht nicht nur das Verhalten im Stadion vor einem massiven Wandel. Social Media bringt Vereine und Fans näher zusammen. Es wird von Nähe, Exklusivität und Herzblut gesprochen. Die deutsche Basketballliga lässt Twitterer vom Spielfeldrand der Partien als Feldreporter berichten; die Handballbundesliga schickt der Nationalmannschaft als emotionalen Anheizer für das letzte Gruppenspiel der Weltmeisterschaft virale Youtube-Botschaften von Fans und Spielern aus der Heimat.
Und auch des deutschen liebstes Kind hat sich längst geöffnet für die sozialen Netzwerke. Aus dem kleinen Kommunikations-Einmaleins der Bundesligavereine ist inzwischen eine komplizierte Gleichung mit unzähligen Unbekannten geworden. Alle Bundesligisten sind bei Twitter und Facebook vertreten, die meisten auch bei Instagram, Youtube oder ihrem eigenen Videokanal; die Zahlen von Followern und virtuellen Fans steigen stündlich.
Nicht verwunderlich, wenn mittlerweile selbst der deutsche Fußballrekordmeister FC Bayern München, der sich lange den neuen Medien verschloss, seine Anhänger umfassend via Twitter-Live-Ticker von der emotionalen Jahreshauptversammlung im November informiert: >>Wir haben 15 Millionen Fans auf unseren Social-Media-Plattformen, davon über 9,5 Millionen auf Facebook<<, wird Karl-Heinz Rummenigge in einem Tweet zitiert. In den nächsten 140 Zeichen würdigt der Vorstandsboss des dreifachen Siegers >>die Verdienste von Uli Hoeneß für den FC Bayern<< unter >>tosendem Applaus, minutenlange Ovationen<<.
Auch der FC Schalke 04, ein Verein, dem man religiöse Züge nachsagt, sperrte sich lange gegen den weltweiten Trend. Die >>Nutzer<< würden doch auf der Schalker Homepage und im Newsletter >>ebenso viele Informationen, und das sogar exklusiver<< erhalten, erzählte Rolf Dittrich, damaliger PR- und Pressechef der Königsblauen vor erst zwei Jahren. Facebook könne doch nicht das neue Maß aller Dinge sein. >>Im März 2011 hat bei uns ein Paradigmenwechsel stattgefunden<<, korrigiert Spiegel, Nachfolger von Dittrich, den Kurs. Es sei >>keine neue oder exklusive Erkenntnis, dass diese Kanäle eine enorme Wichtigkeit gewonnen haben.<<
Maurice Sonneveld erklärt: >>Der Fachbereich Neue Medien ist beim 1. FC Köln an die Abteilung Medien und Kommunikation gekoppelt<<, bei vielen anderen Vereinen sei dies im Marketing angesiedelt, so der Angestellte im Bereich >>Digitale Kommunikation<< bei den Domstädtern: >>Wir nutzen Social Media nicht primär als Vertriebs-, sondern als Kommunikationskanal.<< Neuer sozialer Knotenpunkt des 1. FC Köln ist dabei die Seite fc-connect.de, auf der die Inhalte der diversen FC-Kanäle, die Social-Media-Profile der FC-Profis sowie Nachrichten aus den Medien präsentiert werden.
Twitter spielt in der Bundesliga indes eine Hauptrolle und die deutschen Klubs müssen sich gegenüber England oder den USA nicht verstecken. Hertha BSC nutzt seine LED-Boards am Spielfeldrand an jedem Spieltag, um seine Fans im Stadion aufzufordern, mit dem Verein zu interagieren. Fans können an Gewinnspielen teilnehmen oder den Spieler des Spiels wählen. Aber auch der Verein profitiert von dem Arrangement. Denn die Reichweiten können für Partner und Sponsoren genutzt werden und am Ende soll eine >>Triple-Win-Situationen<< entstehen, erklärt Sonneveld.
Thomas Spiegel aber sieht auch Probleme auf die Vereine zukommen: >>Das Community-Management steigt natürlich deutlich an. Je mehr so ein Kanal frequentiert wird, desto mehr muss man sich damit natürlich befassen<<, so der Schalker. Es gehe aber nicht nur um Kontrolle, sondern auch um Interaktion und Moderation.
Sind die Veränderungen im Sport bei all diesen Aktivitäten durchweg positiv? Nein. Je beliebter Twitter, Facebook und Co. werden, desto unpersönlicher und distanzierter werden die Verbindungen. Die Wucht an Followern und virtuellen Fans ist für die Social-Media-Abteilungen nicht mehr zu stemmen. Neue Herausforderungen, neue Kommunikationsstrategien müssen erdacht werden.
In den USA versuchen Sportfans via Social Media über einen kontrollierten, geplanten Shitstorm den politisch unkorrekten Namen der Washington Redskins ändern zu lassen. Liga und Klub müssen reagieren und sich rechtfertigen. Hierzulande sehen Spiegel und Sonneveld Gefahren für die Stimmung im Stadion: >>Persönlich bin ich immer hin- und hergerissen, ob ich die Entwicklung gut finden soll<<, gibt Spiegel zu und erzählt: >>Auch wenn es meist berufliche Gründe hat, greife ich während eines Spiels mal zum iPhone, denke aber auch immer gleich: Mein Gott, du bist eigentlich zum Fußballgucken hier<<.
Der Pressechef der Schalker würde >>nicht ausschließen, dass die Stimmung im Stadion durch ein modernes Stadion gefährdet sein könnte<< und sein Kölner Kollege ergänzt, bei allem technischen Fortschritt dürfe man jedoch nicht vergessen, >>dass über allem die Stimmung und das Erlebnis bei einem Stadionbesuch im Vordergrund stehen.<< Wichtig sei daher, >>ein ausgewogenes Verhältnis zwischen Tradition und Moderne zu finden.<<

